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KORT PROSESS
Norwegen, das ist das Land der Fjorde und Walkiller, aber auch die
Heimat von nicht wenigen guten Bands. Ich erinnere mal an LIFE... BUT
HOW TO LIVE IT?, SO MUCH HATE, MEDUZA, SCHWEINHUND, COCKROACH CLAN und
unzählige andere, aber auch an die heute schon zu Klassikern gewordenen
Osloer HC-Punks BANNLYST und KAFKA PROSESS. Mit letzteren verbindet KORT
PROSESS, die neben zwei Singles eine wunderbare CD auf dem Berliner
Label Heart First veröffentlicht haben, allerdings nur eine zufällige(!)
Namensähnlichkeit sowie zu einem guten Teil die Musik: Kompromißloser
Hardcore der alten Schule nämlich. Vor dem Konzert in der Duisburger
Fabrik sprachen Helge und ich mit den vier Skandinaviern. KORT PROSESS
sind Dag (Drums), Alf (Sänger), Dan (Bass) und Robin (Gitarre).
Wie kommt es, daß ihr euch KORT PROSESS nennt? Die Namensähnlichkeit zu
KAFKA PROSESS ist ja wirklich überdeutlich.
Dag: Stimmt, aber damit hat der Name nichts zu tun. Als wir die Band
gründeten, hatten wir so kurze Songs, daß der Name sich beinahe
zwangsläufig ergab: KORT PROSESS heißt soviel wie "kurzer Prozeß" - und
den machten wir mit unseren Songs.
Alf: Wir kannten damals zwar KAFKA PROSESS, aber kamen aus einer anderen
Stadt und fanden den Namen auch gar nicht so ähnlich, als daß wir uns
darüber Gedanken machten.
Dag: Wir gründeten die Band in einer kleinen Stadt namens Horten,
ungefähr 100 Kilometer südlich von Oslo, und erst vor kurzem sind ich
und Ben nach Oslo umgezogen.
Damit dürfte sich auch die Frage erledigt haben, ob ihr euch als
musikalische Erben von KORT PROSESS seht.
Alf: Um ehrlich zu sein, kannte ich die Band bis vor kurzem nur dem
Namen nach. Erst jetzt auf Tour hat mir jemand in Deutschland was von
denen vorgespielt.
Dan: Ich kenne von den alten norwegischen Bands eigentlich nur SVART
FRAMTID, und außerdem hörte ich bis zu meinem Einstieg bei KORT PROSESS
ganz andere Musik.
Wie sieht euer musikalischer Background aus?
Dag: Ich und Robin haben früher in einer Punkband namens HASTVERK
gespielt, wo ich allerdings der Sänger war. Musikalisch hatte das
allerdings nichts mit KORT PROSESS zu tun.
Dan: Ich bin ´ne ganze Ecke jünger als die anderen, und ich muß ganz
offen zugeben, daß ich mit METALLICA anfing. Später traf ich dann die
drei anderen und hörte zu der Zeit Thrash- und Death-Metal, aber auch
ein bißchen Punk und Hardcore. Deshalb ziehe ich mir beim Songwriting
meine Einflüsse auch aus den unterschiedlichsten Musikstilen und nicht
nur aus altem norwegischem Hardcore.
Alf: Ich höre derzeit ziemlich viel Frank Zappa, aber auch MR. BUNGLE.
Und natürlich NOMEANSNO, das sind meine Favoriten.
Dan: Ich würde sagen, daß wir vom Gesang her schon etwas BANNLYST
ähneln, und es gibt auch Ähnlichkeiten mit den frühen SO MUCH HATE, aber
sonst sind unsere Songs ganz anders aufgebaut. Bei uns gibt´s keine
Gitarrensoli, und wir versuchen auch, die Songs möglichst
abwechslungsreich zu gestalten - und sie natürlich kurz zu halten, "kort
prosess" eben. Und wenn du meine Lieblings-HC-Bands wissen willst, das
sind RUDIMENTARY PENI, R.K.L. und alte BAD BRAINS und MDC.
Dag: Wir sind vier Einzelpersonen mit unterschiedlichem Geschmack, und
so ist unsere Musik eine Mischung aus den verschiedensten Einflüssen.
Klar kommt da auch etwas alter Norwegen-Hardcore mit ins Spiel, aber ich
denke, man kann uns wirklich nicht auf diesen Aspekt reduzieren.
Alf, du bist ja übel am Krächzen. Was ist mit deiner Stimme los?
Alf: Die habe ich mal wieder ruiniert. Das passiert mir auf jeder Tour.
Das braucht Wochen, bis sich das normalisiert hat. Ich rauche eben
zuviel, so 30, 40 Selbstgedrehte am Tag, und außerdem ist das
allabendliche Rumbrüllen natürlich nicht das beste. Und dann tut der
ständige Wechsel zwischen heißen Konzerträumen und der Kälte draußen vor
der Tür meinem Hals natürlich auch nicht gerade gut.
Ich dachte, ihr als Polarmenschen seid das gewohnt.
Dan: Jajaja, jeder denkt, bei uns in Norwegen laufen Eisbären durch die
Straßen. Das ist Blödsinn, das Klima im Süden Norwegens ist auch kaum
anders als in Norddeutschland.
Gegenwärtig kommt aus Skandinavien eine wahre Flut von Pop-Punkbands,
von denen sich euer recht altmodischer Sound doch erheblich
unterscheidet.
Dan: Stimmt, und du kannst deinen Arsch drauf wetten, daß ich aus dieser
Band aussteige, sollte jemand auf die Idee kommen, auch so einen
Snowboard-Sound à la MILLENCOLIN zu spielen. O.k., manche von den Bands
sind gar nicht übel, aber mein Ding ist das nicht. Trotzdem sind die
neuen Songs, die wir kürzlich aufgenommen haben, relativ melodisch
ausgefallen. Man hört zwar, daß wir das sind, aber es ist doch anders
als die bisherigen Platten. Geplant ist sowas bei uns allerdings nicht,
das ergibt sich einfach. Und solange die Songs kurz und hart sind, ist
ja alles in Ordnung.
Dag: Einzige Maxime für unsere Musik ist, daß es Spaß machen muß, einen
Song zu spielen. Wir haben kein Grundschema, an dem wir starr
festhalten.
Was versteht ihr denn unter Hardcore?
Dan: Na, Love, Peace & Understanding. Hardcore bedeutet für mich, das zu
machen, was ich will, was ich für richtig halte, und mich dabei auf mein
Gefühl für richtig und falsch zu verlassen. Ich weiß nicht, ob das jetzt
Hardcore ist, aber das ist auch egal. Die anderen in der Band haben da
vielleicht andere Ansichten, aber das ist auch o.k., denn wir sind eine
Band, die aus vier Individuen besteht. Ich selbst will mich nicht in
eine Kategorie einordnen, etwa Anarcho-Punk oder Straight Edge, sondern
versuche mein eigenes Ding durchzuziehen.
Dadurch, daß sowohl eure Platten wie auch eure bisher zwei Touren auf
einer völligen DIY-Ebene ablaufen - ihr spielt in Autonomen Jugend- und
Kulturzentren, Squats und so - steht ihr gewollt oder ungewollt in einer
bestimmten, eher politischen Ecke des Hardcore-Spektrums.
Dag: Das stimmt schon, aber trotzdem sind wir keine vordergründig
politische Band. Wir haben zwar ein paar Texte, die eindeutig Position
beziehen, aber wir definieren uns nicht nur über Politik. Was die
Konzertorte betrifft, so macht es einfach mehr Spaß, in solchen
selbstorganisierten Läden zu spielen, und das ist wichtig, denn Hardcore
zu spielen und Spaß zu haben ist für mich ein Ding.
Dan: Was die Texte betrifft, so drehen die sich oft um das, was in den
Köpfen der Leute passiert. Es zieht einen doch ständig runter, in so
einer westlichen Gesellschaft zu leben. Ich habe mir nicht ausgesucht,
in dieser Gesellschaft zu leben und sehr vieles paßt mir nicht, aber
andererseits habe ich auch nur sehr geringe Möglichkeiten, etwas zu
verändern.
Wer schreibt die Texte, wer die Musik?
Dan: Die meisten Texte stammen von Robin, aber ein paar sind auch von
mir. Die Songs schreiben Robin und Dag zusammen. Aber so streng ist das
bei uns nicht aufgeteilt, denn wenn die Idee erst mal da ist, arbeiten
wir die Songs alle zusammen aus. Alf zum Beispiel liest sich die Texte
durch, hört sich die Musik an, und entwickelt daraus seinen Gesang.
Eure CD enthält prinzipiell die beiden Singles, aber im Vergleich hört
man doch Unterschiede.
Dag: Ja, das liegt daran, daß die Songs der zweiten 7" für die CD neu
abgemischt wurden. Außerdem enthält die CD noch drei Bonustracks. Im
Herbst werden wir wahrscheinlich neue Songs parallel auf einer Doppel-7"
und auf CD veröffentlichen. Wenn es nach uns ginge, würden wir nur
Singles machen, aber in Norwegen kauft kaum noch jemand 7"s. Hier in
Deutschland ist das glücklicherweise anders, da wird noch Vinyl gekauft.
Beide Formate werden natürlich wieder auf Heart First Records
erscheinen.
Wie seid ihr mit Flo von Heart First in Kontakt gekommen?
Dag: Einer von ANGST, die bei Flo schon eine Platte gemacht haben, hat
unsere erste, selbstveröffentlichte 7" produziert und ein Tape davon an
Flo geschickt. Der war so begeistert, daß er uns gleich nochmal ins
Studio geschickt hat, um eine zweite 7" aufzunehmen. Das war alles.
Wie lange gibt es KORT PROSESS schon?
Dag: Seit 1990, aber damals waren wir noch ziemlich schlecht und hatten
eine andere Besetzung: Alf kam erst später dazu, und auch Dan.
Dan: Ich mochte die Songs schon bevor ich in die Band einstieg. Im
ersten Jahr hatten es die tatsächlich geschafft, ganze zwei Songs zu
schreiben. Und die haben sie bei der Probe abwechselnd gespielt. Ich kam
irgendwann mal mit zur Probe und war trotzdem richtig begeistert.
Dag: Richtig los ging es erst, nachdem wir vor drei Jahren unsere erste
Single aufgenommen hatten. Das spornte uns an, endlich mal mehr Songs zu
schreiben, und seitdem läuft es richtig gut.
Ihr scheint noch eine recht junge Band zu sein.
Dag: Ja, ich, Robin und Alf sind 23, Dan 21.
Ups, das überrascht mich jetzt. Ich hätte euch für älter gehalten - auch
von der Musik her. Da ist es umso überraschender, daß ihr diesen
altmodischen Hardcore spielt.
Dag: Naja, als wir anfingen, gab es Bands wie NO FX oder OFFSPRING zwar
schon, aber wir hörten sowas nicht. Uns ging es darum, harte und brutale
Musik zu spielen. Unser Publikum war von Anfang an begeistert, und das
gibt dir natürlich einen ziemlichen Kick und heißt ja auch, daß du auf
dem richtigen Weg bist.
Dan: Ich wußte von Anfang an, was für Musik ich machen will, und da
kümmert es mich herzlich wenig, ob andere gerade New York Hardcore-Riffs
für angesagt halten. Und genauso wenig dürfte es Alf interessieren, daß
scheinbar alle Welt derzeit melodischen Gesang hören will.
Dag: Ich finde es sehr wichtig, daß man als Musiker immer exakt das
spielt, was einem "natürlich" scheint, und nicht etwas, das gerade gut
ankommt.
Dan: Kommerzielle Aspekte haben für uns noch nie eine Rolle gespielt.
Was hast du denn davon, wenn sich deine Platte gut verkauft, du aber
eigentlich lieber ganz andere Musik spielen würdest?
Es gibt aber doch viele Bands, die von Anfang an ein ganz klares Ziel
vor Augen haben, nämlich mittelfristig "groß" zu werden.
Dag: Klar, vielleicht haben die schon nach ein paar Monaten keine Lust
mehr, nur vor 100 Leuten zu spielen und wollen auch ein paar Mark mit
ihrer Musik verdienen. Das muß jeder selber wissen, aber ich kann mir
nicht vorstellen, daß wir irgendwann in großen Hallen spielen und
richtig Geld machen. Mir reicht es, wenn die Leute, die zu unseren
Konzerten kommen, begeistert sind. Musik nur zu schreiben mit dem Ziel,
den Geschmack des großen Publikums zu treffen, darauf habe ich keine
Lust.
Dan: Ich finde es ziemlich billig, Songs zu schreiben, die gleich beim
ersten Hören hängenbleiben - du weißt schon, dieser BAD RELIGION-Effekt.
Ich finde es besser, wenn man eine Platte mehrmals hören muß, bis was
hängenbleibt. Deshalb finde ich auch unsere neuen Songs, die auf der
nächsten Platte sein werden, besser als die ersten Sachen.
Was werdet ihr nach der Tour machen?
Dag: Ich bin seit kurzem mit der Schule fertig und werde demnächst
meinen Zivildienst beginnen. Die anderen hängen nur rum und tun gar
nichts - außer Musik machen natürlich. Das heißt, Robin muß sich um
seine Tochter kümmern, die erst vor ein paar Monaten geboren wurde.
Dan: Ich habe keine Lust, mich auf etwas festzulegen, solange ich nicht
etwas gefunden habe, das mir so richtig Spaß macht. Also warte ich
einfach mal. Ich würde natürlich gerne von der Musik leben, aber das ist
auch nicht einfach.
Danke!
Interview: Joachim Hiller & Helge Schreiber
© by Ox-Fanzine / Ausgabe #23 (II 1996)